Brigitte Steiner ist Koordinatorin unseres Projektes „Vielfalt-Forscher“. Hier gibt sie uns einen ersten Rückblick auf die spannenden Erfahrungen aus dem Projekt und die sehr kreative Zusammenarbeit mit den Mädchen und Jungen …
Vielfalt-Forscher – Projektrückblick von Brigitte Steiner, Projektkoordinatorin
Nun ist er also vorbei, der erste große Durchlauf unseres Projektes „Vielfalt-Forscher“, den wir zwischen August und Dezember 2016 durchführen konnten. Was bedeutet das überhaupt, „Vielfalt-Forscher“?
Das haben wir die am Projekt teilnehmenden Mädchen und Jungen aus Regel- und Willkommensklassen, aus Gemeinschaftsunterkünften, Familienzentren und Kita auch gefragt.
„Vielfalt ist unterschiedliche Sprachen und Anziehsachen.“
„Vielfalt ist verschiedene Menschen, verschiedene Formen und Gefühle.“
„Vielfalt ist, wenn es von etwas ganz viel gibt.“
„Forscher suchen nach wichtigen und kostbaren Dingen.“
„Ein Forscher ist jemand, der in den Wald geht und Sachen sucht.“
Genau, das ist Vielfalt, und noch viel mehr! Und so sind wir mit den Kindern auf eine Vielfalt-Forschungsreise (nicht ausschließlich im Wald) gegangen. Dabei war es nicht nur eine Herausforderung, den Begriff Vielfalt für die Kinder greifbar zu machen. Es ging ebenso darum, den Kindern die Motivation zu vermitteln, warum sich überhaupt mit dem Thema auseinandersetzen.
Joao Albertini, Theaterpädagoge und pädagogischer Leiter des Labyrinth Kindermuseum Berlin, und Eleni Papaioannou, Künstlerin und Kunstpädagogin, haben vielfältige Methoden entwickelt und genutzt, um mit den Kindern künstlerisch und kreativ den vielen Facetten von Vielfalt nachzugehen.
Im Projekt – 1
Eleni hält eine Kiste hoch: „Hier ist eine Schatzkiste! Wisst ihr, was ein Schatz ist?“ Ein Mädchen antwortet: „Etwas, was wertvoll ist!“ Die Kinder sind gebeten worden, einen Lieblingsgegenstand mitzubringen. Eleni fragt M.: „Was ist dein persönlicher Schatz?“ M. hält seine dicken Handschuhe hoch. „Warum ist das wertvoll für dich?“, fragt Eleni. Er antwortet auf Arabisch, sein Freund übersetzt: „Weil sie mich wärmen.“
A. zeigt sein knallgelbes ferngesteuertes Rennauto: „Das hat mir meine Oma geschenkt!“
„Und wo ist deine Oma?“
„Im Libanon.“
Der quirlige Z. zeigt ein Plastikdöschen: „Da ist meine Hüpfknete drin!“
„Warum ist die wertvoll für dich?“
„Weil ich damit spielen kann! Und wenn ich wütend bin, kann ich sie rumwerfen.“
Zwei Mädchen zeigen nacheinander die Armbänder, die sie sich gegenseitig geschenkt haben – ihr Schatz ist ohne Frage die Freundschaft.
Die Kinder stürzen sich auf die vielfältigen Bastelmaterialien, um ihre eigene Schatzkiste für ihren persönlichen Gegenstand zu gestalten.
Und so greifen die liebsten Gegenstände, die Aussagen der Kinder und die Gestaltung der Kiste ineinander. Biografie, Persönlichkeit und Schicksal bekommen hier in ihrer Vielfältigkeit eine Form.
Im Projekt – 2
Joao liest „Zuhause kann überall sein“ von Irena Kobald und Freya Blackwood vor [ www.knesebeck-verlag.de/zuhause_kann_ueberall_sein/t-1/7 ]. Darin geht es um ein geflüchtetes Mädchen, dem am neuen Wohnort alles kalt und fremd vorkommt. Es wickelt sich in seine Decke, die aus Erinnerungen und Gedanken an Zuhause gewebt ist. Als es im Park ein anderes Mädchen kennenlernt, das mit ihm lacht und ihm die fremde Sprache beibringt, beginnt es, eine neue Decke aus Freundschaft, neuen Worten und Erinnerungen zu weben. Die Illustrationen zeigen Wörter in deutscher wie arabischer Schrift, viele Kinder im Projekt können daran sowie an die Situation des Mädchens direkt anknüpfen.
Und tatsächlich geht es anschließend darum, gemeinsam eine Vielfalt-Willkommens-Decke zu knüpfen. Jedes Kind gestaltet einen Flicken für die Decke, die im Projektzeitraum stetig wächst und zum Ende des Projekts im Vielfalt-Forscher-LAB im Labyrinth Kindermuseum installiert wird. Ein Blick auf die Decke (oder nein, viele, viele Blicke, weil es so viel zu sehen gibt!) zeigt gleich, wie sehr jede*r Einzelne zur Vielfalt beiträgt. Diese Decke ist ein perfektes Symbol für das Willkommenheißen und das Ankommen, für das Zusammenwachsen, aber auch für die eigene Handschrift. So heißt es dann bei den Kindern: „Alles ist anders geworden und alles ist anders schön." UND „Meins ist das Schönste, aber alles ist auch das Schönste!“
Im Projekt – 3
Das Vielfalt-Forscher-LAB, das im Rahmen des Projekts in der aktuellen Ausstellung des Kindermuseums eingerichtet wurde, bietet den Besucher*innen vier Arbeitsblätter zum Thema Vielfalt [ PDF: www.labyrinth-kindermuseum.de/sites/default/files/downloads/vielfalt-lab-ar… ]. Eines davon ist ein Steckbrief. Im Laufe der Monate füllt sich die Wand des LABs mit den Antworten der Ausstellungsbesucher*innen und spiegelt deren Vielfalt. Auch die Mädchen und Jungen füllen diesen am Anfang einer Session in der Projektarbeit aus. Neben den Angaben zum Aussehen kann man dort auch den Satz „Ich bin besonders, weil …“ vervollständigen. Im Projekt machen Eleni und Joao das als Aktionsrunde und geben anfangs Beispiele dafür, warum sie selbst besonders sind, um das Spiel anzukurbeln. Und da gibt es viele Besonderheiten! Die Kinder zählen ihre besonderen Körpermerkmale ebenso auf wie ihre Talente und Fähigkeiten (Rechnen, ein Instrument spielen, Sprachen, Sport … „Ich bin klein, aber schnell!“), ihre Vorlieben, ihre Charakterzüge („Ich bin besonders, weil ich gerne lache!“, „ … weil ich gerne Sachen mache, ohne zu fragen!“, „ … weil ich ein Schatz bin.“) Sie erhalten ein Gefühl dafür, was es heißt, besonders zu sein, und dass jeder Mensch etwas Besonderes ist. Mehr kann man als Grundlagenverständnis für Vielfalt wohl nicht erhoffen.
In diesem Sinne verläuft die Vielfalt-Forschung im Projekt „Vielfalt-Forscher“.
Es geht darum, Kindern mit und ohne Fluchthintergrund vielfältige Impulse zu geben, um sie in Fantasie, Spielverhalten und Ausdrucksformen anzuregen. Es geht darum, die Sozialkompetenz und Kommunikationsfähigkeit der Mädchen und Jungen anzuregen.
Es geht darum, Beziehungen zu knüpfen.
Es geht darum, die vielen Facetten von Vielfalt zu fassen oder zumindest anzureißen. Wir spannen einen weiten Bogen – von der Vielfalt der Sinne, der Gefühle, der Farben, Formen und Wahrnehmung hin zur Vielfalt der Sprachen und Kulturen.
Es geht darum, dass das Leben nicht schwarzweiß ist, dass es viele Zwischentöne gibt. Es geht darum, dass jedes einzelne der am Projekt teilnehmenden Kinder aus vielen verschiedenen Facetten zusammengesetzt ist. Und dass jedes Kind in seiner Individualität genau so wertzuschätzen ist, wie es ist.
Es geht also vor allem darum, eine Haltung zu vermitteln.