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„Eine Stadt darf niemals fertig sein“

Gespeichert von Labyrinth am Mo., 05.05.2014 - 15:01

Van Bo Le-Mentzel ist Schirmherr unserer neuen Ausstellung „Platz da! Kinder machen Stadt“ (13.4.2014 – 30.8.2015). Er engagiert sich für Nachhaltigkeit und soziale Gerechtigkeit, „Konstruieren statt Konsumieren“ ist seine Lebens- und Arbeitsphilosophie. Direkt und leidenschaftlich beantwortet der Architekt für uns auf LABlog zehn Fragen zu seinem Engagement ...

1. Was hat Sie dazu motiviert, die Ausstellung „Platz da! Kinder machen Stadt“ als Schirmherr zu unterstützen?

Museum ist Vergangenheit. Ich bin Gegenwart. Kinder sind Zukunft. Ganz einfach.

2. Wie haben Sie Ihre Kindheit in Berlin erlebt, was ist Ihre schönste Erinnerung?
Berlin habe ich wie eine große Spielwiese erlebt. Nachdem David Hasselhoff an der Berliner Mauer gesungen hat, ist sie umgefallen und dann wurde meine Spielwiese noch größer. Ich habe Fernsehen gemacht im Offenen Kanal (heute ALEX), habe mich bei einem kleinen Neuköllner Piratensender als DJ ausprobiert (heute Kiss FM) und in der Humboldthain-Grundschule Musikunterricht bekommen (Schlagzeug), wohlgemerkt ohne Kosten. Das hat mich geprägt.


3. Sie haben sich nach Erfahrungen und Erfolgen als Rapper und Graffiti-Künstler dann doch für ein Studium der Architektur entschieden. Warum?

Ich habe nicht nachgedacht. Ich habe auch Abitur gemacht, ohne zu wissen, was das bedeutet. Heute bin ich der Meinung, dass man weder Abitur noch Architektur machen muss, um die Stadt mitgestalten zu können. Ich finde, wir sollten aufhören zu denken, dass Erwachsene alles besser wissen als Kinder.

4. Wie bewerten Sie den Einfluss, den Architektur auf das alltägliche Leben hat?
Die Diskussionen am Flughafen Tempelhof sind ja sehr aktuell momentan. Früher durften nur Experten eine Meinung haben. Heute können sich Laien dank Internet und Facebook das Wissen aneignen, um mitdiskutieren zu können. Ich begrüße es, wenn sich Menschen zu Gruppen zusammentun, um zum Beispiel einen Volksentscheid zu organisieren. Das ist echte Mitbestimmung. Damit haben Architekten, Stadtplaner und Politiker nicht gerechnet: Das Volk ist wach und hat eine Meinung.

5. Ihr erklärtes Motto ist „Konstruieren statt Konsumieren“. Wie lässt sich das im Alltag umsetzen?
Ich kaufe nichts Neues mehr. Ich verschenke oder verleihe meine Sachen. Und ich habe kürzlich den Griff meines Kochtopfes repariert, das hat mich sehr stolz gemacht. Mich inspirieren die beiden Weddinger Sidney und Paris sehr. Sidney hat eine alte Stehlampe von mir repariert und Paris hat ein Kinder-Mobile gebastelt, um meinen dreimonatigen Sohn zu besänftigen, der eines Abends nicht mehr aufhörte zu schreien. Sidney ist 9 und Paris 7 Jahre alt. Sie sind die Kinder meiner Cousine. Kinder entwickeln sehr viele Lösungen. Die letzten wären: neu kaufen oder zur Reparatur bringen. Komisch, dass wir Erwachsene eigentlich immer nur auf diese Lösungen kommen.

6. Was macht für Sie eine lebenswerte Stadt aus? Was kann man konkret in der Stadt Berlin noch verbessern?

Eine Stadt darf niemals fertig sein. Sie muss genug Raum bieten für die vielen unterschiedlichen Menschen mit ihren verschiedenen Hobbys, mit ihren unterschiedlichen Musikgeschmäckern, mit ihren unterschiedlichen Träumen. Die einen fahren gerne schnelle Autos, die anderen lieber Longboards. Manche naschen gerne Cikadik-Kerne, andere trinken Wein. Manche hören Klassik, manche spielen Gitarre auf der Straße. Je mehr draußen passiert, umso mehr wird eine Stadt liebenswert.

7. Sie engagieren sich für Kinder mit schwierigen Startbedingungen. Wie macht man diesen Kindern am besten Mut?

Ich sage diesen Kindern die Wahrheit: dass sie etwas ganz besonderes sind. Jede und jeder Einzelne ist ein Wunder. Man darf nicht vergessen: Nur einer von einer Million Spermien schafft es zu überleben. Und das sind wir: die, die sich durchgesetzt haben gegen eine Million andere.

8. Was und wie viel kann der Kiez/die Stadt überhaupt für Kinder tun?

Mir hat die Kifrie Jugendetage sehr weitergeholfen, ein Jugendzentrum des Nachbarschaftsheims Schöneberg. Wir sind auf Reisen gegangen in den Wald und haben in Wilmersdorf in einer Villa übernachtet. Die Pädagogen leisten eine sehr wertvolle Arbeit.
Es sollte Karma-Häuser geben, wo Menschen kostenfrei leben können, wenn sie die meiste Zeit ihres Alltags den Kindern und der Gesellschaft widmen: LehrerInnen, ErzieherInnen, Journalisten, Kulturschaffende, KünstlerInnen, Alleinerziehende, Hebammen, Bufdis. Diese Wohnungen müssten den Ehrenamtlichen vorbehalten sein, ich nenne sie Karma-ArbeiterInnen. Die Diskussion um gerechte Bezahlung ist wichtig, aber zu kurz gedacht. Kita-Erzieherinnen werden ihr Burnout nicht wegbekommen, nur weil sie mehr Geld verdienen. Wir müssen lernen, unsere Stadt noch stärker an die Fähigkeiten und Bedürfnisse der Menschen anzupassen, nicht umgekehrt.

9. Und jetzt umgekehrt: Wie kann die Stadt von den Ideen und Perspektiven von Kindern profitieren?

Wir sollten aufhören, immer von irgendjemandem profitieren zu müssen. Lasst die Kinder in Ruhe! Sie sollen ins Labyrinth Kindermuseum kommen und spielen. Wenn sie sich nicht an die Regeln halten, sollten wir ganz aufmerksam schauen, welche neuen Regeln sie erfinden. Davon können wir lernen und vielleicht in unserer Erwachsenenwelt die Regeln überdenken, an die wir uns schon so sehr gewöhnt haben.

10. Eine ganz persönliche Frage zum Abschluss: Welches ist Ihr liebstes Gebäude in Berlin?

Ich mag die U-Bahnhöfe in Berlin von Siemens-Halske. Zum Beispiel die Eingangshalle Möckernbrücke. Die sieht aus wie ein moderner Pavillon aus einer Bauhaus-Siedlung.